Waldspaziergang

 

Froschgrün leuchten seine Augen. Etwas Ironisches spielt um seine Mundwinkel. Als ob er sagen will: " So ein Quak! Ihr Menschen seht etwas Ungewöhnliches, etwas, das nicht in eure Schubladen passt, schon reißen eure Gewissheiten wie Spinnweben, ihr lasst rasselnd die Jalousien herunter und Panik bemächtigt sich eures gesamten Wesens!


Was ihr nicht versteht, brandmarkt ihr als Zaubertrick oder Fingerzeig Gottes. Warum glaubt ihr, dass wir Drachen uns seit Jahrhunderten nicht mehr in unserer natürlichen Form zeigen? Warum wir nur noch in Märchen vorkommen. Ihr würdet unsereins gnadenlos jagen, erlegen und ausgestopft in eure verstaubten Museen hängen.


Nicht ritterlich, Auge in Auge, würdet ihr euch dem Kampf gegen das Unbekannte stellen. Nein, ihr müsstet euch aus Feigheit zusammenrotten, hinter Befehlen und mörderischen Waffen verstecken und würdet trotzdem mit eurem Heldenmut prahlen.
Zu Ritterzeiten war es uns noch möglich, in abgelegenen Gegenden relativ unbehelligt zu leben. Die wenigen wirklich Mutigen unter den Menschen, die uns fanden, kehrten mit Gruselgeschichten heim. Geschichten, die wir ihnen vorsorglich in den Geist pflanzten. Nur einige Wenige, die unser Wesen erkannten und die von den Bildern, in denen wir mit ihnen sprachen, keine Furcht hatten, kehrten wieder. Sie verstanden und sprachen darüber mit keiner Menschenseele.


Heute, da ihr euch jahrhundertelang wie Karnickel fortgepflanzt habt, ist es uns nur selten möglich, gefahrlos über die kärglichen Reste zu fliegen, die ihr an unberührter Natur übriggelassen habt. Doch für diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, nehmen wir das Risiko der Entdeckung auf uns und begeben uns in die sichtbare Sphäre. In die Welt, die ihr Zweibeiner so schändlich verunstaltet. Kinder, Narren, Todgeweihte und einige wenige Weise, die noch die Fähigkeit haben, uns wahrzunehmen, sind unsere Brücken zur Menschenwelt. Doch eure Feigheit und das wenig herzerhellende Licht der elekrtrischen Kerzen in den St. Martin Lampions sind uns immer weniger Verlockung!"

Eben noch, als ich mich den Berg hochgequält habe, geflucht über die schwachsinnige Raucherei, meinen fortschreitenden Flatscreensofamuskelschwund und das pralle Leben im Wald vor Anstrengung gar nicht registriert habe, hätte ich ihn als Halluzination, als Ausgeburt meines kranken Hirns abgetan. Höchstens als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, einmal wieder eine Fabel zu schreiben. Als ein Musenzeichen. Doch nun, da ich die rauhe Rinde der Birke an meinem Rücken spüre, die Ameise, die meine Wade hinaufklettert und mein Atem wieder ruhig und gleichmäßig strömt, kann ich diese Augen, tief wie Bergseen und die Stimme, die aus meinem Kopf zu kommen scheint und doch von dem geschuppten Flügelwesen vor mir gesprochen wird, nicht mehr leugnen. Die Vernunft spukt schon wieder dazwischen, aber Angst suche ich vergeblich. Neugier und Staunen strömen von meinen Haarspitzen bis in die Fußnägel und eine Gänsehaut zieht mir den Rücken hinunter. Er scheint es mir anzusehen, denn die grünen Augen beginnen zu funkeln und seine Stimme ertönt von Neuem.


" Wir sehen mit Freude, dass Du uns erkennst. Wisse, dass wir ab nun immerdar in deiner Nähe sind und dir, so Geist und Herz offen sind, mit Raunen und Ahnen zur Seite stehen. Wisse, dass auch Du uns immer nahe sein wirst. Auch wir bedürfen von Zeit zu Zeit eines Menschen Rat und Beistand.
Die Zeit wird kommen, da wir dich in unserer Sphäre begrüssen dürfen. Ob in dieser oder einer späteren Lebensspanne ist nicht von Belang, denn in der Drachenwelt spielt die Zeit eine untergeordnete Rolle. Drachen warten gerne. Denn je ungestörter ein Baum wächst, desto tiefer kann er sich verwurzeln, desto mächtiger werden Stamm und Krone und umso mehr Frucht und Samen kann er, so die Zeit der Ernte gekommen ist, der Welt schenken!"


Damit endet die Stimme in meinem Kopf und vor meinen Augen entfalteten sich dunkelgrüne Flügel. Die leuchtenden Augen zwinkern und einen Augenblick später liegt nur noch ein Flirren in der Luft.
Nach ein paar Minuten, in denen mir die Vernunft weismachen will, dass ich nur geträumt und die Augen Spiegelungen des Bergsees vor mir waren, stehe ich auf und genieße mit geschärften Sinnen meinen Weg zurück ins Tal.