Pluggerei
So hat sich Anna Röckchen, alias Anorak, alias Annakeck den Streetworkerjob nicht im Albtraum vorgestellt. Es ist die reine Pluggerei! Es war klar, dass sie sich
intensiv auf ihr Einsatzgebiet vorbereiten muß. Auch emotional. Schliesslich will sie ja ihren Job gut machen. Gerade wegen des neuunartigen Ansatzes und der Herausforderung hat sie sich als
Sozialpädagogin bei SUBstance beworben. Alle Erfahrungen konventioneller Beratungsstellen, sowie die großangelegte Studie von Joyclub NewSMell kamen zu dem Schluss, dass nur ein provoaktiver
Ansatz aus der Spirale mit häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch und Unterordnung führen kann. Prof. Pinuts Wollluste, alias Pillepalle hatte sechs Jahre und einige pikante Videos unter
Beteiligung von Entscheidungsträgern aus Poltik und Wirtschaft gebraucht, um das Projekt mit ausreichendem Bertiebsmitteln ausgestattet an allen behördlichen Hindernissen vorbei an den Start zu
bringen. Der ausschlaggebende USB-Stick mit dem argumentativ so wertvollen Bild- und Tonmaterial liegt sicher in mehreren Schliessfächern einiger Schweizer Banken.
Anna führt nun also seit drei Wochen ein Doppelleben. Während sie tagsüber in ihrer Vollwertküche herumwerkelt, erholt sie sich von den Strapazen der
Nacht.
Gegen Acht am Abend schält sie sich dann aus ihren bequemen Ökoklamotten und lässt sich ihre Möpse und Pölsterchen unter ein knallenges Korsett zwängen. Stiletti und
schwarze Halbmaske vervollständigen ihr Dienstoutfit. Fertig ist die Assistentin der Zeremonienmeisterin. Sylvi Ehtrieb hat mittlerweile 25 Dienstjahre auf dem Buckel und beherrscht ihr Metier,
wie auch die Klienten hervorragend. Sie kann ihre Schläge und Berührungen so genau und rhytmisch dosieren, dass sich die Laute der mit Klettverschlüssen fixierten Extremitäten,die den Bass
schlagen und die höheren Lust- und Schmerzbekundungen zu einer Melodie samt Obertönen fügen. Misstöne spornen sie besonders an, so dass manches Konzert sich bis zum fulminanten Crescendo
steigert, bevor der Schlusstakt mit dem letzten Zucken des Taktstockes und dem gefüllten Klingelbeutel - Depressionsstrümpfe für Potenzschlümpfe nennt Dirigentin Sylvie die Gummis manchmal
grinsend, wenn sie diese nach dem Abgang des Klienten fingerfertig mit einer Hand verknotet und sie mit einem lässigen Schnippen gekonnt in den Mülleimer, sorry: die Samensammelbank
versenkt.
Vor Sylvie hat Anna Hochachtung und mittlerweile ist der anfängliche Ekel vor Schmerbäuchen und wimmernden Jammerlappen der steigenden Lust gewichen, diese
genüsslich zu quälen. Auch der Schreck über diese in ihr aufsteigenden Empfindungen wird von Nacht zu Nacht schwächer. Es ist, wie Prof. Pillepalle ihr vorhergesagt hat. Das menschliche
Individumm passt sich extrem schnell veränderten gesellschaftlichen Konventionen an. Je mehr sich diese an den Grundbedürfnissen oder arterhaltungsspezifischen Ritualen orientieren, desto
schneller die Anpassung unter Schmerz, Zwang und Leidensdruck. Noch schneller vollzieht sich die Werteverschiebung unter dem Einfluss uneingeschränkter Macht.
Wahrscheinlich wird sich der aufmerksame Leser erstaunt fragen, was denn jetzt die eingangs erwähnte Pluggerei ist. Gut aufgepasst!
Nun, dies ist ein Insiderwitz, der sich dem jungfreu- und männlichen Leser nur entschlüsselt, so er weiss, dass der Plug, salopp übersetzt: Stöpsel in oben
beschriebenen Eros-Praktiken eine nicht unwesentlich stimulierende Wirkung besitzt.
Zusätzlich vermag er auch etwaige unerwünschte Ver- und Äusserungen an den eingesetzten Öffnungen verhindern. Für Anna war das in dem ein oder anderen Fall der
wirklich wichtige Effekt.
Was Annakicher, wie sie Kollegin Sylvie in den Pausen zu nennen pflegt, allerdings wirklich in ihrer Küche und ihren Träumen beschäftigt, sind die kommenden drei
Wochen. Dominus, über dessen Spitznamen unter Kollegen sich der Verfasser mit einem boshaften Lächeln ausschweigt, ist ihr ab und an in den Gängen des Fortbildungsetablissements namens Trauminsel
begegnet. Sein männlich markanntes Gesicht schien ihr anfangs sehr anziehend und sympathisch. Dann hat sie einmal an seiner Türe während einer Session geklopft und ist eingetreten, um zwei
Elektroplugs für Sylvie zu holen. Stein ist weich, gegenüber seinem Gesichtsausdruck in diesem Moment. Seine Stimme forderte sie schneidend und kälter als es Eis je sein könnte auf, den Raum auf
der Stelle zu verlassen und nie, aber auch wirklich nie wieder ungebeten in eine Session einzudringen!
Sie hat etwas Unverständliches gestammelt und ist rückwärts wieder hinausgestolpert. Klein, doof, unwürdig - wie damals, als sie sich als Kind in der ersten Klasse
in die Hose gemacht hatte.
Bei Dominus wird sie ab Montag in die Lehre gehen und dies soll auch der wesentlichste Teil ihrer Ausbildung sein. Im Moment hat sie einen ziemlichen Bammel davor.
Wie wird sie diese Zeit überstehen? Ausser der Assistenz sind mindestens zwei Stunden passive Selbsterfahrung Pflicht.
Beim Gedanken daran, Dominus ausgeliefert zu sein, fühlt sie einmal eine Trockenheit, die der eines ihrer deckellosen Eddings in nichts nachsteht. Dann wieder ist
es, als ob kurz vor der Geburt das Fruchtwasser abgeht. Es ist eine widerliche Zerrissenheit und die Verbindung von Angst, Abhängigkeit und sexueller Erregung bringt sie fast um den Verstand.
Früher hatte sich das so ähnlich angefühlt, und immer schlimmer, je näher der Zahnarzttermin rückte.
Sie wird Sylvie um ein Gespräch bitten. Die kann ihr sicher ein paar nützliche Tips geben.
Zum Glück hatte ihr im Vorfeld niemand gesagt, was da auf sie zukommt. Sie hätte die Bewerbung garantiert zurückgezogen.