Erblatschen

Als sie auf den Seeigel trat, war sie gottfroh, heute ausnahmsweise mal auf ihre Mutter gehört zu haben. "Mädel, zieh die Schlappen an!" Das hatte sie sich schon den halben Morgen anhören müssen und irgendwann nachgegeben, damit sie ihre Ruhe hatte.

Die Nakedei-Lektion hatte sie schon in ihrem letzten Familienurlaub gelernt. Damals war ihr Vater noch dabeigewesen. Sie hatte beim Anziehen des Badeanzugs so gestrampelt und geschrieen, dass er sie schlussendlich hat so am Strand spielen lassen. Auch hatte er sie nicht eingecremt, weil sie die blöden klebenden Sandkörner nicht leiden konnte, die ihr die Mutter immer abends aus der Poritze schrubbte.

Nun Krebse sind nicht halb so rot, wie sie es dann war. Drei Nächte hatte sie nicht geschlafen und stundenlang geweint. Danach war das Anziehen des Badeanzugs und das Eincremen nie wieder Thema gewesen. Und ein Jahr später durfte sie der Mutter den pickligen und knochigen Buckel einreiben, weill der Vater nicht mehr dabei war.

Anfangs hatte sie nicht verstanden, warum der Vater plötzlich weg war. Da sie den allabendlichen Streit im Nebenzimmer schon gewohnt war, brachte sie ihn in ihrer kindlichen Unschuld nicht mit seinem Verschwinden in Verbindung. Gut - zuvor war es immer nur ein leises Geräusch gewesen. Vaters Stimme schwoll manch mal etwas an; wie der Donner eines weit entfernten und näher kommenden Gewitters. Zwar dunkel und bedrohlich, doch eben weit entfernt. Die der Mutter klang eher wie ein Zischen oder scharf wie eine Messer das schnell durch ein Blatt Papier schneidet. Da sie am nächsten Morgen beide aber wieder freundlich zueinander waren und sich nichts anmerken ließen, hatte sie sich daran gewöhnt und diese Geräusche nach dem Verschwinden vom Vater sogar vermisst. Sie hatten sie immer sicher in den Schlaf begleitet. In der letzten Nacht waren sie nur etwas lauter gewesen.

Doch der Sturm vor dem Fenster, der die Läden klappern ließ, übertönte die Auseinandersetzung. Beängstigend waren nur die zugeschlagenen Türen, die beim fluchtartigen Verlassen des Vaters wie Schüsse klangen. Doch als danach der Wind nachließ und aus dem nebenzimmer nichts mehr zu hören war, war sie doch schnell eingeschlafen.

Danach hatte sie den Vater nie wieder gesehen. Ihre Mutter hatte ihre drängenden Fragen nicht beantwortet nur geknurrt und abends beim Stricken unter der Stehlampe manchmal verschämt eine Träne weggewischt. So blieben ihr die Gründe für die Trennung der Eltern bis heute unbekannt.

Nun, da sie fünf Jahre später fast vierzehn Jahre alt wisrt und am Abend ihr allererstes Rendevous hat, darf ihr so ein blöder Seeigel natürlich keine Stacheln in die Füße stecken. Schließlich will sie ihm freudestrahlend entgegen hüpfen und nicht mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen humpeln. Dann sähe sie ja genauso verbittert aus wie ihre Mutter. Zweifelhaft, ob er sich dann trauen würde, sie zu küssen. Das fehlte noch, dass sie selbst auch so eine alte vertrocknete Jungfer würde, wie ihre Mutter eine ist.

Aber darauf bestehen, dass ihre Kinder sich später eincremen lassen und den Badeanzug anziehen, das wird sie auch. Und ihnen Badelatschen kaufen, die sie anziehen würden. Basta!