Amelie friert.


Sie zieht ihre Decke enger um den zitternden Leib und stampft mehrmals mit den Füssen auf, da ihre Zehen wehtun. Der Schnee knirscht unter ihren Hausschläppchen. Wo bleibt er denn? Sie schaut sehnsüchtig nach oben. Mammi hat doch gesagt, dass er heute Abend kommt. Kurz nachdem die Sonne untergegangen ist.

Sie soll nur brav warten und ab und zu aus dem Fenster schauen. Und wenn er da ist mit seinen Rentieren und dem großen Schlitten, legt er die Geschenke vor die Tür. Jetzt steht sie schon fast eine halbe Stunde vor dem Haus. Sie weiß das, weil die Glocke vom Kirchturm drüben schon zweimal geschlagen hat. Eigentlich wollte sie gerne wieder nach drinnen, wo es schön warm ist, doch leider ist vorhin die Tür zugefallen. Wuff ist drinnen und bellt, doch der kann die Türe nicht aufmachen. Manche Hunde können das. Bello von Tante Angelika zum Beispiel. Der ist fast so gross wie Amelie. Doch Wuff ist zu klein. Er muss Anlauf nehmen, um so hoch zu hopsen. Deshalb muss Amelie warten. Papa und Mama sind noch auf Arbeit und Susie ist heute früher nach Hause gegangen. Zu ihren Kindern. Weil doch heute Weihnachten ist.

Wenn nur der.Weihnachtsmann endlich käme. Der könnte ihr sicher die Türe auch ohne Schlüssel aufmachen. Oder würde sie auf seinem Schlitten ein Stückchen mitfahren lassen, bis Mama und Papa nachhause kommen. Das wäre lustig.
Amelie zittert schon am ganzen Leib. Es ist so furchtbar kalt. Warum nur war sie nicht brav und hat gewartet und aus dem Fenster geschaut, wie Mama es gesagt hat?

Langsam beginnen Tränen aus ihren Äuglein zu laufen. Ganz von allein. Denn sie will nicht weinen. Sie will ein tapferes Mädchen sein. So wie Papa das mag. Doch die Tränen kommen und sie kann sie nicht wegwischen, weil sie dann die Decke loslassen muss. Und dann fällt der Schnee auf ihr Nachthemd und macht es nass.
Niemand ist auf der Strasse, den sie um Hilfe bitten könnte. Und bis zur Kirche ist es zu weit mit ihren Hausschläppchen.

Weil es so bitterkalt ist, geht sie trotzdem ein paar Schritte. Und noch ein paar.

"Das Mädchen hat riesiges Glück gehabt! Was sagen sie? Sie haben sie im Stall hinterm Haus gefunden? Dort lag sie zwischen zwei Hasen und hat geschlafen? Nun, sie ist etwas unterkühlt und wird wohl um eine kräftige Erkältung nicht herumkommen. Wenn sie zu Hause sind, setzen sie sie in ein heisses Bad und lassen sie eine Kanne warmen Tee trinken. Desweiteren schreibe ich ihr ein Rezept über ununterbrochene Elternbetreung für mindestens die nächsten fünf Jahre aus. Gebührenfrei.

Das ist mein Weihnachtsgeschenk an sie und ihre Tochter. Ob sie es wie verordnet bekommt, werde ich Amelie bei Gelegenheit fragen! Nun wünsche ich ihnen gesegnete Weihnacht. Meine Kinder warten wahrscheinlich auch schon ganz ungeduldig auf mich."