Kanta Re
Es war einmal ein Emanuel. Kannt nichts, als seine bitterarme, aber liebevolle Mutter und das Huhn, das zuverläßig jeden Morgen ein Ei unter der federumrandeten
Rosette liegen hatte. Und wars äußerst unzufrieden.
¨Das kannt doch nicht das Gelbe vom Ei sein, so tagein, nachtaus nichts anderes zu kennen und des Morgens nach einem Dotter in
den Stall zu rennen!¨, dachte Ema. ¨Nu, eleganter sollte die Welt sein, rasanter und brillanter. So langsam geht mir dieses Eineierlei zweierlei auf den Keks. Ärschtens geht mir das ständige
brotlose Denken am Arsch vorbei und Eiderdotter: Ich will endlich die Welt kennenlernen, wo sie aufregender ist, als hier, zwischen Kittelschürze, Rührei und Maggiwürze!¨
Sprachs, sattelte das aufgeregt gackernde Huhn (ohne Ei unterm Anus) und ritt peitscheschwingend in die unbekannte Welt. Emanuel fand die Welt zwar lange nicht so elegant und brillant wie in
seinen Träumen. Auch mangelte es damals (und auf dem Rücken des Federviehs) noch etwas an der Rasanz, doch immerhin sah er, dass es hinter dem Dorfweiher und der Mühle, in die er manchmal ein
Ei gegen einen Topf Mehl tauschen durfte, noch viele seichte Teiche und Wälder und Hütten gab, deren Bewohner auch nicht glücklicher aus der Wäsche glotzten, als er.
Doch da er nicht glauben wollte, dass die Welt überall so trostlos sein sollte wie bei ihm zu Hause zwischen Stall und Herd, befragte er die Menschen, wie genau sie denn unzufrieden seien und
was sie dazu täten, dies auch zu bleiben.
Er lernte, dass viele Zeitgenossen nicht solcher Zurückhaltung mächtig sind wie er, der seine Schlimmpulse jederzeit mit etwas gechillter Hirnwichserei wieder senken konnte, sondern etwas
kaputtmachen, zerschlagen oder niederbrüllen mussten, um ihren inneren Frieden zu finden. Manche von ihnen nutzen dazu den Hund, die Frau oder die verlausten Bälger, die ihnen sowieso die
letzten Haare vom Kopfe fräßen. Andere brauchten dafür Ausländer und Arbeitslose und jene, die sich im Besitze einiger weniger Skrupel wähnten, schlugen ihre Bedenken nur bei Bediensteten
oder Nachbarn in den Wind oder machten das Böse und seine irdischen Vertreter zwischen Hackklotz und Axt klein. Einige reinigten sich, indem sie Söldner oder Gendarm wurden. Nur wenige hatten
soviel Macht über sich und Andere, dass sie die Saat ihrer Unzufriedenheit großzügig über viele Wesen verteilen und mehren konnten.
Als Emanuel eines Abends sah, dass er nun alle Weiher und Hütten, samt ihrer Kittelschürzen und zutiefst ärmlichen Rühreiseeligkeit kennengelernt hatte, erkannte, dass es in der Welt da
draußen auch nicht heller war, als in ihm selbst, bekam er Heimweh. Wenn es schon überall an Brillianz, an Eleganz und Rasanz fehlte und ihm überdies bislang auch noch keine Emmanuelle
zugeblinzelt hatte, konnte er beruhigt wieder nach Hause reiten. Seine Mutter würde sich freuen, denn sicher fehlte ihr das tägliche Ei und ihre Haare wären mittlerweile stumpf und struppig,
gab es doch damals noch nicht die Segnungen der Haarwurzelgemüseextrakte in Plastikflaschen, die heute jeder Magd mühelos diamantene Lichtreflexe unters Kopftuch zaubern können. Schließlich
war damals auch Meister Propper noch nicht geboren und die Frisur durfte gerne stilecht zum Schrubber passen.
Seine Mom freute sich übrigens nicht nur über die Heimkehr des Huhns, sondern auch über die ihres Sohnes. Brachte er ihr doch mit seinen Geschichten das so viel größere und aufregende Elend
der weiten Welt in die ärmliche Hütte und zauberte so ganz ohne Chemiefabrik etwas Glanz in ihre trüben Augen.
Da ihm trotz Reise immer noch furchtbar langweilig war und es damals noch keine Smartfones oder Geräte mit noch größeren Blödschirmen gab, erinnerte er sich an den geklauten abgekauten
Bleistift, der dem Wirt in der düsteren Waldklause vom Laster gefallen war und schrieb seine weisen Gedanken zu Glück und Pein, Sinn und Unsinn, Ei und Huhn und was wohl zuerst gefressen
wird, nieder.
So ward zwar nichts Brillant oder Rasant geworden, doch er wenigstens Praktikant.
Da damals die Verleger hauptsächlich Truppenteile verlegten und an Geschriebenem weniger interessiert waren, viele Hüttenbewohner an grenzenlosem Analphabetentum litten und dies zudem noch
nicht einmal wussten, geschweige denn wissen wollten, musste er sich vom unbekannten Praktikant zu unerkannt, erst über verkannt zu bekannt hocharbeiten, bis er schließlich zu dem uns heute
geläufigen Emanuel Kant wurde.
Mittlerweile ist Meister Propper schon alt, die Chemiefabriken schaffen es mühelos vorübergehend Glanzlichter unter gestylte und gedopte Wimpernschläge trotz trüber Aussichten zu zaubern. Die
Buchstaben an Kant-Schulen und Gymnasien werden schon lange nicht mehr poliert und Praktikanten, denen es bei Mutter zuhause zu langweilig wird, streichen nicht mehr auf gesattelten Hühnern
durch Wälder und Täler, sondern unruhig mit fahrigen Gesten durch virtuelle Welten, bevor sie wieder zu Muttern zurückkehren.
Selbst dort lassen sie nicht ab von ihrer Suche nach dem Gelben vom Ei. Denn ihre Mutter braucht die spannenden Reiseberichte der Heimkehrer (heute müsste es, wenn überhaupt, Homesauger
heißen) nicht mehr. Sie hat ja ihr Shampoo, das Erbe Meister Proppers in vielen Sprayflaschen und so wie der Nachwuchs selbst mehrere unterschiedlich große Geräte, mit denen sie virtuschnell
überall hinreisen kann und ihr Herz am glänzenden Elend der ganzen Welt genesen lassen.
Per Flatrate natürlich. Wieso diese Scheiße ausgerechnet so heißt, erzähle ich euch ein ander Mal. Jetzt hab ich Kohldampf. Ihr merkt: Langsam ist die Kreide, die ich vorhin gefressen habe,
aufgebraucht. Ich verfalle wieder in den aktuellen Gassenslang. Bevor ich hier ernsthaft jemanden vergraule und das Kind in den Brunnen fällt, trabe ich mal heim zu Muttern. Die kreidet mir
nicht jedes falsche Wort an und macht mir pronto Spiegelei mit Speck.
Tschau
Bussi
Euer Graf Vlatu Lenz
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