Entzauberte Märchen Nr.10 Heinzelnervchen

 

 

Heinzelnervchen

 

 

Wieder einmal wachte der Schneider zu Kölle des Nachts um vier Uhr beim Geläute der Domglocken auf, spähte in sein Atelier und alle Aufträge der kommenden Woche waren schon fast piccobello fertig genäht. Manche sogar schon gebügelt.

Gähnend stand er in der Türe seiner Werkstatt und verharrte dort minutenlang. Wenn seine Beinmuskeln einen Befehl bekämen, führten sie ihn sofort aus. Doch da kam Nichts. Kein Befehl keine Bitte, kein allerleisester Impuls. Es war, als ob Scham oder Schmerz ihn von einer Sekunde zur anderen lahmgelegt hätten. Kraftlos und leer fühlte er sich.

Doch ein Mangel an Kraft war es nicht. Eher im Gegenteil. Seit Monaten hatte er sie zurückhalten müssen. Könnte man sie in ein Gefäß füllen, würde der Weinkeller des Bischofs mit all seinen Riesenfässern nicht genügen, all seine ruhenden Kräfte aufzunehmen. Seit Monaten brauchte er keinen Strich und keinen Stich mehr zu tun in seiner Schneiderei.

 

Schuld daran waren diese Heinzelmännchen. Sie schnitten und nähten und bügelten die ganze Nacht hindurch. Warum sie das taten, wusste er nicht. Wenn er fragte, schauten sie nicht einmal auf; sie stachen einfach weiter mit der Nadel in das Gewebe und taten so, als sei er gar nicht da.

 

Bodenlose Langeweile beherrschte nun seine Tage. Das Einzige, was ihm zu tun übrig blieb, war das Annehmen der Aufträge und das Einkaufen der Stoffbahnen und Knöpfe, Zwirn und Futter.

Doch das war schnell erledigt und danach blieb ihm nur das Vortäuschen wichtiger Außentermine, um nicht täglich von seiner geschwätzigen Frau zum Kartoffelschälen und Leintüchermangeln gerufen zu werden. Es war ein Elend. Er,  der er mit einer Engelsgeduld bis spät in die Nacht geduldig Stich für Stich an einem Hochzeitskleide für den nächsten Tag sitzen konnte,  der seinen Beruf schon immer mit Hingabe und Liebe ausführte, verwandelte sich langsam in ein antriebsloses Nichts.

 

Anfangs schien es die Erfüllung aller Wunschträume, schien die Verheißung von Reichtum und Wohlleben zu sein. Die kleinen Helfer brauchten Nichts , außer ihre Ruhe und genügend Material, damit sie die bestellten Kleider aufs sorgfältigste anfertigten. Sie wollten keinen Lohn, keine Nahrung. Er musste sie nie, wie vormals seine nicht immer fleißigen Gesellen und Lehrbuben, mit Zuckerbrot und Peitsche antreiben. Es schien das Paradies.

Wie gesagt, die ersten Tage nur, doch dann wurden sie von Woche zu Woche mehr zur Plage. Zumindest für ihn. Denn seine Frau hatte für seine neuerlichen Gemütsschwankungen kein Verständnis. Sie träumte schon von einem größeren und komfortableren Haus in vornehmerer Gegend.

 

Als endlich der Befehl kam, waren es nicht die Beine, es waren Zeigefinger und Daumen der rechten Hand, die sich um das Rädchen legten und die Flamme so schnell höher drehten, dass er es sich nicht mehr anders überlegen konnte.

 

Wenn jetzt noch seine Frau ihre schamlose Drohung wahr machte und mit dem Stoffhändler durchbrannte, könnte er Ludmilla, die Magd....

 

In diesem Falle wäre er schon Morgen wieder ein ganz neuer Mensch!

 

 

 

 

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