Entzauberte Märchen 1

 

 

Wie immer, wenn die hohen Herrschaften Geldnöte oder Langeweile bekommen, lassen sie sich etwas einfallen, das ihrem Leben wieder Würze und dem ihrer Untertanen meist nur teilweise Vergnügen, all zu oft zu kurz zum Stärken ein Lächeln entlockt und es darüber hinaus recht bald auf gequältem Gesichte eingefrieren lässt.

Das Meisterstück lieferte in dieser Hinsicht ein Graf, dessen Wappentier ein schwarzer Stiefel war, aus dem üppig besamte Garben ragten und dazwischen roter Mohn und blaue Kornblumen wuchsen. Seine aufwendige Lebensweise war nur durch äußerste Sparsamkeit und den schier übermenschlichen Fleiß seiner treuen Untertanen zu halten.

Trotz der schon übermäßigen Beanspruchung seiner Bürger und Bauern überlegt er, wie er nach dem Tode seines Oheims, in dessen größeres Schloss umziehen und es wieder aufs Prächtigste herrichten könne, ohne die Unlust seiner Untertanen zu eregen. Denn diese hatten schon mehrere magere Jahre hinter sich, in denen das Korn knapp und die Obstbäume fast leer blieben, so dass es gerade noch zum Überleben reichte. Zu allem Übel wurde das Land heuer von einer Mäuseplage heimgesucht, wie sie die Bauern noch nie erlebt hatten. Sie drohten die gesamte Ernte des Landes auf zu fressen und es war guter Rat teuer, denn noch einen harten und kargen Winter würden viele der ausgemergelten Alten und Kinder nicht mehr überstehen.

Eines Morgens, nach einer allzu feucht fröhlichen nächtlichen Orgie, als ihm der Schädel noch vom Wein zu platzen drohte, dass selbst das Trippeln der Mäuse wie Donnerhall hinter seinen geröteten Augen dröhnte, drehten sich seine Gedanken nur um Eines: Weiterschlafen!

Wie durch dicke Watte hindurch kamen jedoch immer öfter und drängender unwillkommene menschliche Laute, die einer seiner jungen Maitressen gehören musste.

"Katerle, komm zu Dir, der Hofmarschall hat einen ..."

Es musste Mauseemoiselle Anja von Bourbon sein, das pralle Luder, das da versuchte durch den Nebel durch zu kommen.

Doch der Kater verhinderte es, dass das Mäuschen....

Schlagartig wurde der Graf wach. Nun wusste er was zu tun war.

Flugs sandte er in alle Nachbarländer sämtliche Kutschen des Reiches und ließ seine Abgesandten alle Katzen erwerben, derer sie nur habhaft werden konnten.

Bald schon strebten Hunderte von Kutschen dem Schloss entgegen und ließen an jedem Feld, an jedem Rain einen großen Korb Katzen aus dem Schlag, die sich nach den mageren Tagen der Reise sofort daran machten, alle Mäuse zu fressen, die sich aus ihren Löchern an die Oberfläche trauten.

Die Ernte ward gerettet und der gestiefelte Kater, wie ihn seine Bürger ob seiner Hilfe nun dankbar nannten, richtete sich prächtig in seinem neuen Domizil ein.

Madmäuschen Anja wurde in einem rauschenden Fest geehelicht, und sie hätten glücklich bis an ihr Lebensende und den ganzen Schmus, hätte es da nicht in Bälde ein neuerliches noch schlimmeres Ungemach gegeben.

Als nämlich alle Mäuse vertilgt waren und die sich wegs der anfangs so reich gedeckten Tafel wie die Karnickel vermehrenden Katzen nichts mehr auf den Feldern zu fressen fanden, verwilderten sie zusehends und suchten ihr Heil in der Jagd nach Hühnern und Hasen, fraßen auch alle Vögel, die sie erwischen konnten und raubten jedes erreichbare Nest bis aufs letzte Ei aus.

In den folgenden Jahren hörte man im Land des Grafen keinen Vogel mehr zwitschern, kein Häslein hoppelte mehr übers Stoppelfeld und mangels Eiern kam auch nirgendwo mehr ein Sonntagskuchen auf den Tisch. Zu allem Elend gesellten sich ob der mangelnden Nagezähne und Schnäbel eine Larven- und Ungezieferflut dazu und diese machte sich über Kornfelder und Gärten her.

Was so schon vermieden schien, kehrte mit unvorstellbarer Grausamkeit zurück.

 

Deshalb werden die Bürger dieses Landes noch heute furchtbar zornig, wenn sie die Mär vom gestiefelten Kater hören und haben sie darob aus allen Märchenbüchern getilgt.

 

Merke: Die schönsten Ideen taugen nichts, sind sie der Trunkenheit entsprungen.

 

 

 

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